Ich sitz am Meer, beobachte die Wellen und genieße das sanfte Rauschen der Adria, als mein Telefon läutet. Und schon steck ich mitten in einem Abenteuer mit dem roten Baron.
Seit Jahren geistert der rote Baron durch die Szene. Man munkelt, er wäre ein ganz frühes Exemplar seiner Modellreihe. Angeblich der älteste Überlebende in Österreich, wenn nicht sogar in ganz Europa. Und jetzt ist sein Besitzer dran. Ich könne ihn haben. Na dann weiß ich auch schon, was ich mache, wenn ich wieder zuhause bin…

Die Prozedur mit den Papieren und der Anmeldung ist schnell erledigt, ein Termin zur Abholung gefunden. Jetzt muss ich bloß noch zum roten Baron kommen. Dankenswerterweise stellt ein Freund und szenebekannter Markenexperte seine Chauffeurdienste zur Verfügung. Da macht das Leben leichter. Denn die Reifen auf dem roten Baron sind fast 20 Jahre alt, rissig und spröde. Damit fahr ich nicht fast 140km auf der Autobahn. Also muss ein Satz Räder mit, die noch im Keller liegen. Reifenwechsel in der Einfahrt des Verkäufers ist angesagt. Das wird ein Spaß. 16°C, Nieselregen.

Nach einer entspannten Anreise ist es dann soweit. Der rote Baron steht bereit, um mit mir nach Hause zu fahren. Bloß… Oh mein Gott, ich hab dich anders in Erinnerung, alter Freund. Der Lack komplett ausgeblichen, die Felgen rostig, der Innenraum auch nicht besonders appetitlich. Was haben sie bloß mit dir gemacht? Aber keine Sorge, ich nehm dich trotzdem mit. Jetzt platz die Bombe, jetzt zeigt er sich…
„Er“, das ist ein Nissan Prairie 1.5 GL. Aber nicht irgendeiner. Markteinführung des Prairie in Österreich war Mitte März 1983. In der März-Nummer der AutoRevue taucht er in der Preisliste das erste Mal auf, den ersten Fahrbericht gab es in der April-Nummer. Der rote Baron hier – Delivery Date zum Händler laut vollständiger Bordmappe 13.03.1983, Erstzulassung April 1983. Der war als ganz früher am ersten Schiff mit Prairies für Europa mit dabei. Eines der ersten Fahrzeuge, die nach Österreich gekommen sind. Und heute mit ziemlicher Sicherheit der älteste überlebende Prairie in Österreich und vielleicht sogar europaweit. Also nichts wie ran an die Arbeit, Reifen wechseln ist angesagt…
Klar, er ist patiniert. Aber die spezifischen Teile der ersten Serie sind alle da, der Wagen verfügt über ein neues Pickerl bis April 2022 (dank historischer Eintragung) und das Öl wurde auch vor gar nicht all zu langer Zeit gewechselt. Was sagt der Ölzettel? Mai 2008… Das ist nicht euer Ernst, oder? Was solls, ein halber Liter frisches Öl drauf und ab nach Hause. Ein großes Service steht eh auf dem Programm. Landstraße oder Autobahn? Es ist Freitag Nachmittag, der Verkehr aus Wien raus ist mörderisch. Aber ich hab vollstes Vertrauen und den alten Haudegen, also ab auf die A2, hinter einen LKW klemmen und mit Tacho 90 ab in die Heimat. Ob das gut geht?

Bis Wiener Neustadt läuft alles tipptopp, als sich plötzlich ein Stau zu bilden beginnt. Also runter auf den Rastplatz und die RushHour aussitzen. Beim Ausrollen an der Tankstelle geht der Motor aus. Super… Aber solche Spompanadeln bin ich von meinem silbernen 86er Prairie eh schon gewöhnt. Und japanertypisch springt er natürlich sofort wieder an. Vielleicht ist er nur etwas unpässlich, nach so langer Standzeit. Die letzte längere Fahrt dürfte schon Jahre zurückliegen. Und bis auf ein mysteriöses Getriebegeräusch, das mir Sorgen macht, läuft/lenkt/bremst er wirklich gut. Keine Spur von ausgenudelt oder niedergeritten. Hat ja auch erst 97.500km auf der Uhr. Der Verkehr wird langsam auch wieder weniger, also los, rauf auf die Autobahn, ab in die Steiermark. Aber vor dem Semmering werd ich übermütig. Eine Bergwertung steht an. Runter von der S6, rauf auf den Berg.

Obligatorischer Fototermin in Maria Schutz, rauf auf den Zauberberg, drüben wieder runter und durchs Mürztal heimwärts. Läuft echt gut, das Gefährt. Und nach einer weiteren Stunde Landstraße fährt er in den Heimathafen ein. Trotz anfänglicher Bedenken natürlich auf eigener Achse. Na no na ned, ist ja ein Japaner! Nach der ersten Politur am darauffolgenden Tag, einem großen Service samt Wechsel aller Flüssigkeiten und mit den originalen Chromradkappen und Zierringen versehen, macht er wieder einen richtig guten Eindruck.
Die erste Serie unterscheidet sich in vielen Details von den nachfolgenden Facelift-Varianten. Die Gute hängen frei im Raum, der Schalthebel scheint direkt aus einem Reisebus zu stammen, die sofabequemen Sitze feiern mit braunen Kunstleder-Streifen den Satteltaschen-Look des Wilden Westens und der puffrote Bodenteppich sorgt für Gemütlichkeit. Cooler Schei*, so ein Erstserien- Prairie. Vor allem der Innenraum ist deutlich kultiger als beim Facelift. Dass der Innenraum beinahe in Neuzustand ist, begeistert natürlich auch noch mal zusätzlich. Selbst der Radio wurde noch nie getauscht, es ist immer noch der 1983 verbaute „Blaupunkt Lille“ an Bord.
Alles gut? Ich bin mir nicht sicher. Mein silberner Facelift-Prairie ist mir emotional näher, wir haben uns nach anfänglichen Schwierigkeiten so richtig zusammengerauft. Und was soll ich überhaupt mit zwei Prairies? Der Plan war, den roten Baron erstmal zu „sichern“, dass er nicht in die falschen Hände kommt und ihn dann der Japan-Oldie-Szene zuzuführen. Vielleicht findet sich ein Liebhaber, der ihn als ältesten Überlebenden zu schätzen, zu pflegen und zu lieben weiß. Aber wenn ich ihn mir so ansehe, bin ich mir gar nicht sicher, ob ich ihn überhaupt weiterreichen möchte… Denn sowas bekommt man nie wieder.

Lukas