Die jungen Vergessenen

Die 1990er Jahre waren doch gerade erst, oder? Fühlt sich zumindest so an. Und die Autos von damals sind doch auch gerade erst abgelöst worden, so rein gefühlsmäßig. Doch es gibt schon Modelle, die nicht einmal 30 Jahre später aus dem Straßenbild UND dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind.

Die 90er kommen grad ganz groß raus, nicht nur in der Youngtimer-Szene. Der 1993 präsentierte Renault Twingo wird als Neo-Oldtimer gefeiert, ein 95er Audi RS2 Avant kostet mehr als eine Eigentumswohnung am Land und ein BMW 8er ist längst Titelheld der 90er-Autofolklore-Bücher.

Unlängst fallen mir einige Ausgaben der AutoRevue in die Hände. Teilweise aus Mitte der 1990er, manche aus den 2000er Jahren. Und beim Durchblättern wird mir plötzlich bewusst, dass einige der damals alltäglichen Autos bereits heute wieder vergessen sind. Ohne Szene, ohne Lobby, ohne Erwähnung oder Sichtung. Nicht einmal auf den grandiosen Alltagsklassiker-Treffen sind sie vertreten.

Der Toyota Paseo, in zweiter Generation von 1996 bis 1999 auch bei uns verkauft, blieb Zeit seiner Existenz immer etwas blass. Motorisch bieder, optisch auch. Und ja, es gab ihn sogar als Cabrio. Regulär bei heimischen Toyota-Händlern. Nur weiß das heute niemand mehr. Hat noch jemand ein Paseo Cabrio?

Den Skoda Fabia der ersten Generation, feuchter Traum preisbewusster Auto-Pragmatiker, kennt man. Aber dass es ihn ab 2001 auch als Stufenheck-Version gab, daran erinnert sich nur noch Onkel Walfried, der pensionierte Finanzbeamte. Besteht die Chance, einen Fabia Stufe in freier Wildbahn zu erwischen? Wenn, dann am Parkplatz vom Penny-Markt in Favoriten. Oder vorm Friedhof kleiner Weinviertel-Ortschaftln.

Zu Boomzeiten der US-Importeure, als der Puhr in der Triesterstraße ein Vollsortimenter war, gabs bei uns auch den Chevrolet Corsica. Als Statement gegen die deutsche Einheits-Mittelklasse. Wer den Corsica gekauft hat? Keine Ahnung, aber es gab ihn bis Mitte der 1990er noch bei uns. Hat sie die Ami-Szene als Winterautos niedergeritten oder wo sind die alle hin?

Und der Opel Sintra… Ist eigentlich ein Pontiac Trans Sport der zweiten Generation. Sprich ein GM-Ami-Van, der 1996 schnell und einfach für den europäischen Kunden adaptiert hätte werden sollen. Leider hat man in Detroit verdrängt, dass die US-Basis bei den gängigen Crashtests verheerend abgeschnitten hat. Und so gings auch dem Sintra. Hinzu kamen Qualitätsmängel, weil man im britischen Luton beim Zusammenstecken nicht sehr motiviert war. Und so war nach drei Jahren 1999 schon wieder Schluss.

Die Koreaner der 1990er trifft das Vergessen besonders hart. Wer könnte den Daewoo Tacuma, später als Rezzo verkauft, noch richtig benennen? Oder hat gar einen gesehen? Wer kann sich an den Hyundai Lantra Maxx – nur echt mit zweitem X – erinnern? Und hat sich irgendwann irgendjemand über die Vieraugen-Front des KIA Shuma aufgepudelt und sie als Benz-Kopie verunglimpft? Nicht einmal das, weil den Shuma niemand mehr kennt.

Und der Rover 200? Hat jemand dieses, mit Ausnahme des Retro-Grills, gesichtslose Spaltmaß-Monster mit den Billigst-Türgriffen auf dem Schirm? Die Zeit nach Honda und vor BMW war für Rover ein letztes eigenmächtiges Aufbäumen, aber die Automobilgeschichte konnte offensichtlich gut auf die Dinger verzichten.

Klar, die meisten 90er-Jahre-Autos abseits des deutschen Mainstreams oder des Klassiker-Olymps sind mittlerweile schon seltene Gäste auf den Straßen. Wer hat das letzte Mal einen Nissan Primera, einen Opel Tigra oder einen Fiat Brava gesehen? Aber sie sind nicht vergessen. Man hat sie auf dem Schirm, man weiß, dass es sie gab. Das haben sie dem Suzuki Liana voraus.

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Veröffentlicht von Lukas

Mit Herz und Hirn - immer hinterm Lenkrad und am Puls der Straße.

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