Äpfel und Birnen

Viel Platz auf wenig Fläche, anspruchslose Technik und skurriles Aussehen. Klingt sehr ähnlich. Und doch sind die Kandidaten unseren Vergleichs grundverschieden.

Manche Autos sind besonders komfortabel. Andere betont spritzig und agil. Die nächsten wieder primär dazu da, den Nachbarn neidig zu machen und das Ego des Besitzers zu stützen. Und dann gibts da noch die wirklich praktischen Kandidaten. Die sich weder um Komfort, noch um bundesdeutsche Blödheiten wie „Überholprestige“ scheren und denen auch Missgunst oder gar ein Ego-Turbo für den Fahrer fremd ist. Zwei davon hab ich mir angeschaut. Ihr habt Glück, ich nehm euch mit – auf die Entdeckungsreise in die unendlichen Weiten der japanischen Minivans der 1980er.

Unsere Kandidaten: 1985er Nissan Prairie 1.5 GL und 1989er Toyota Lite-Ace 1.5 DX

Vergleichen wir Äpfel mit Birnen? Das sind doch zwei völlig unterschiedliche Konzepte, oder? Ein Kombi und ein Bus, ein PKW und ein Nutzfahrzeug. Oder haben die zwei doch mehr gemeinsam als gedacht?

Zwei Würfel auf Rädern, mit fast schon comic-haft großen Scheiben. Beide angetrieben von einem 1.5 Liter Benziner mit 70 PS. Beide vereinen großzügige Platzverhältnisse mit einer sehr kompakten Außenlänge von um die vier Meter. Und beide richten sich an Familien mit mehreren Kindern, an Häuslbauer oder Leute mit sperrigen Hobbies.

Der Prairie M10 ist das smarte Familienauto. Mit viel Platz für vier Erwachsene, die auch ordentlich Gepäck mit auf Reisen nehmen können. Zwei Schiebetüren machen ihn zum König enger Supermarktparkplätze und die fehlenden B-Säulen erleichtern nicht nur das Handling von Kindersitzen. Auch die Oma entsteigt dem „Großraum-Sunny“ würdevoll. In die andere Richtung gehts fast noch besser. Beim Einsteigen erinnert er an einen heute so modischen Crossover. Die etwas höhere Sitzposition, weit öffnende Türen und bequeme Sitze sorgen für Wohlbefinden, noch bevor der Motor läuft. Vier höhenverstellbare Kopfstützen serienmäßig, ab 1983! Ablagefächer in den Schiebetüren, aufklappbare Armlehnen vorne.

Als PKW fährt sich der Prairie sehr manierlich. Federt komfortabel und wird auch auf der Autobahn nicht ungebührlich laut. Die Schaltung flutscht beim Facelift ab 1985 fast schon knackig und mit recht kurzen Schaltwegen durch die Gassen. Der E15-Motor aus dem Sunny hängt spritzig am Gas, dreht bis 4500 Umdrehungen etwas knurrig hoch und wird erst darüber zäh. Ein Kompaktklasse-Kombi mit Mehrwert.

Dem Lite-Ace KM30 hingegen merkst du sofort an, dass er ein Nutzfahrzeug ist, dem man Sitze reingeschraubt hat. Aber davon gleich acht Stück. Wobei, eigentlich sieben, bloß in der letzten Reihe darf ein achter Passagier in der Besucherritze sitzen. Selbst bei voller Bestuhlung bleibt ein Kofferraum übrig. Was bemerkenswert ist, denn der Würfel ist keine vier Meter lang. Dass er nur eine Schiebetür auf der rechten Seite hat, ist nicht nur im Alltag unpraktisch. Und leider hat Toyota sich nicht die Mühe gemacht, auch in Europa Versionen mit variablem Innenraum zu verkaufen. Herausnehmbare, drehbare oder anderweitig smarte Sitze? Fehlanzeige. Und nur 2 (!) Kopfstützen bei 8 Sitzen. Auch 1990 war das zu wenig. Keine Ablage in der Schiebetür, nur ein Fach in der Fahrertür.

Schon beim Einsteigen fällt auf, dass der kleine Ace kein PKW ist. Man rutscht mit dem Hintern über den Radkasten, fädelt den Gasfuß unter der steil im Fußraum stehenden Lenksäule durch und sobald die Tür zu ist, sitzt man fast in der Türverkleidung. Auch nach dem Losfahren sind wir immer noch im Handwerker-Bus. Auf der Vorderachse sitzend, hoppeln Fahrer und Beifahrer über Unebenheiten, die starre Hinterachse ist wohl robust, aber nicht wirklich kultiviert. Der knurrige Stößelstangen-Motor wird schnell laut und brummig, was aber auch an der Einbauposition unterm Fahrersitz liegen könnte.

Der Prairie ist der smoothe PKW mit zahlreichen smarten Detaillösungen, die den Alltag erleichtern und das Auto spannend und interessant machen. In Sachen Verarbeitung ist er aber deutlich filigraner und dünnwandiger.

Der Lite-Ace ist das knorrige Nutzfahrzeug für Pragmatiker, das als Europa-Version namens DX auch nicht nennenswert smart oder variabel ist. Dafür macht er aber einen besonders robusten und bombensicher verarbeiteten Eindruck.

Lukas

Veröffentlicht von Lukas

Mit Herz und Hirn - immer hinterm Lenkrad und am Puls der Straße.

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